Geistliche Schulaufsicht
Die geistliche Schulaufsicht
Die geistliche Schulaufsicht fußte auf der in ganz Mitteleuropa dominierenden Bildungsrolle der Kirchen. Unter dem Einfluß staatskirchlicher Ideen und des aufgeklärten Ideals des Priesters als Volkserzieher wurde sie um 1800 in Bayern gesetzlich festgeschrieben. Nach der Aufhebung des Geistlichen Rats 1802 lag die oberste Leitung über das Schulwesen ab 1803 zuerst beim geheimen Ministerialdepartement und anschließend bei dessen Nachfolgeinstitution, dem Kultusministerium. Die Oberaufsicht lag bei der jeweiligen Kreisregierung, Kammer des Innern. Die Kreisregierung wiederum ernannte die Bezirksschulinspektoren und zwar bis 1873 regelmäßig aus den Dekanen des Ruralkapitels und den Pfarrern. Die Lokalschulinspektion stand stets unter dem Vorsitz des Ortsgeistlichen, sei er katholisch oder evangelisch. In den Stadtbezirksschulinspektionen hatte der Pfarrer des Bezirks oder ein anderer Geistlicher Sitz und Stimme.
Katholischerseits wurde die geistliche Schulaufsicht im Konkordat von 1817 erneut bestätigt, in dem König Max I. Joseph (1756-1825, reg. 1799-1825) und Papst Pius VII. (1742-1823, Papst 1800-1823) übereingekommen waren,daß es Aufgabe der katholischen Bischöfe sei, über die Glaubens- und Sittenlehre zu wachen. Den Bischöfen, und in ihrer Vertretung den jeweiligen Ortspfarrern, wurde damit die Aufsicht über das gesamte allgemeinbildende Schul- und Erziehungswesen zugestanden. In den evangelischen Gebieten wurde diese Aufgabe vom Staat den evangelischen Geistlichen übertragen. Alle Lehrer waren damit fachlich, aber auch hinsichtlich ihres sittlichen und staatsbürgerlich-politischen Verhaltens der Kontrolle der Geistlichkeit unterstellt.
Auch in Bürgstadt gab es diese geistliche Schulaufsicht. Bürgstadt war vom Bezirksamt zur "Kgl. kathol. Distriktsschulinspektion Miltenberg zu Bürgstadt" ernannt worden. Ihr waren folgende Orte im Landkreis unterstellt:
Eichenbühl Richelbach Neunkirchen Umpfenbach
Wenschdorf Schippach Heppdiel Riedern
Breitendiel Kleinheubach Kichzell Buch
Amorbach Laudenbach Miltenberg Weilbach
Großheubach Rüdenau Bullau Zittenfelden
Schneeberg Amorbach Reichertshausen Weckbach
Ottorfszell Preunschen Breitenbuch Beuchen
Boxbrunn
So wurde Pfarrer Manger, kurz nachdem er am 11.4.1893 in Bürgstadt eingeführt wurde, auch das Amt der kgl. Lokalschulinspektion übertragen. Bereits am 29.8.1894 schreibt er an die Gemeindeverwaltung Bürgstadt, daß die beabsichtigte 4. Schulstelle mit Lehrschwestern aus dem Orden der Franziskanerinnen besetzt werden soll.
Er schreibt:
"Diese Ordensschwestern erfreuen sich des Rufes tüchtiger Lehrerinnen und Erzieherinnen der Jugend, genießen das Vertrauen und die Anerkennung all ihrer vorgesetzten Behörden u. haben die besten Erfolge in der Schule aufzuweisen, wie die Protocolle ihrer Prüfungen ausweist".
Weiter schreibt er, daß die Einführung der Ordensschwestern für die Erziehung der weiblichen Jugend von eminenter Wichtigkeit sei.
"Das Beispiel dieser demütigen, anspruchslosen, sittenreinen Jungfrauen vermag nicht ohne Einfluß auf das sittlich-religiöse Leben der Jugend zu bleiben. Die Schwestern bleiben so oft die Ratgeberinnen ihrer Schülerinnen, auch wenn dieselben der Schule entwachsen sind, u. es bildet sich ein würdehaftes gegenseitiges Verhältnis heraus. Aus den Erfahrungen, welche ich in meiner eigenen Praxis schon gemacht habe, kann ich bestätigen, daß gerade durch diesen Anschluß manches Mädchen großen Gefahren entronnen ist. Es ist auch ganz natürlich, daß die heranwachsenden Mädchen zu diesen größeres Vertrauen haben als sie es zu Lehrern haben u. manchmal haben können. Durch Anblick und Umgang mit denen, welche nicht blos ein musterhaftes christliches Leben führen, sondern auch die evang. Riten befolgen, ist in manchen Fällen der Klosterberuf geweckt und gefördert worden und es ist wahrlich kein Unglück für eine Gemeinde, wenn manche ihrer Töchter im Kloster wirkt, sei es durch stilles Gebet und durch ein aufopferungsvolles, tätiges Leben für das Heil u. das Wohl der Menschheit."
Er empfiehlt in diesem Schreiben wärmstens die Einstellung von Ordensschwestern auch im Hinblick auf den späteren Bau einer Kleinkinderbewahranstalt.
Schon bald nach der gesetzlichen Einführung der geistlichen Schulaufsicht im frühen 19. Jahrhundert wurden erste Forderungen seitens der Lehrerschaft nach einer Abschaffung der geistlichen Schulaufsicht laut, ohne daß dies politische Konsequenzen nach sich gezogen hätte. Obwohl die Geistlichkeit ihr Recht bzw. ihre Pflicht zur Beaufsichtigung recht unterschiedlich wahrnahm, lehnte die Mehrzahl der Lehrer, von denen viele auch zu Mesner- und Chordiensten verpflichtet waren, diese dienstliche Beaufsichtigung durch die in der Regel pädagogisch nicht ausgebildeten Pfarrer ab.
Die Abschaffung war auch die wichtigste Forderung bei der Gründung des Bayerischen Volksschullehrervereins 1861, sie wurde politischerseits von den Sozialdemokraten und den Liberalen, aber auch von einigen katholischen Lehrerbildnern (z.B. vom Inspektor des Schullehrerseminars in Eichstätt, Raymund Schlecht [1811-1891], bereits 1849) unterstützt.
Umgesetzt wurde diese Forderung 1868 in Österreich und einigen kleineren deutschen Staaten. In Preußen, wo 1872 die Geistliche Schulaufsicht nur eingeschränkt worden war, und den meisten anderen deutschen Ländern behielten die Geistlichen ihre Kompetenzen."
Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß im November 1918 in der ersten Verlautbarung der Provisorischen Regierung Eisner zu kultur- und
bildungspolitischen Fragen der sozialdemokratische Kultusminister Johannes Hoffmann (1867-1930), ein ehemaliger Lehrer, die Schaffung eines
Volksschulgesetzes mit fachmännischer Schulaufsicht ankündigte. Als erster Schritt hierzu erfolgte am 16. Dezember 1918 eine Verordnung, mit der die geistliche Schulaufsicht zum 1. Januar 1919 aufgehoben wurde.